Nur Warten schenkt Wachsamkeit. Die leere Zeit, ohne Vorsatz, sie ist das Warten, das Wachsamkeit schenkt. – Maurice Blanchot

UND JETZT

Verrichtungen über das Warten von Ruth Geiersberger

Die Münchner Künstlerin Ruth Geiersberger präsentiert im i-camp ihre neue Arbeit UND JETZT – Verrichtungen über das Warten. Gemeinsam mit dem Schauspieler Martin Pfisterer, den Musikern Klaus Janek und Wolfi Schlick, dem Videokünstler Manuel Heyer, dem Betreuer Egmont Körner und der Performerin Judith Hummel untersucht Ruth Geiersberger das Phänomen des Wartens: Die Zeit ist angehalten, und trotzdem will man sie vertreiben oder meint sie sinnvoll füllen zu müssen, mit Spielen, einem Tänzchen, dem Rezitieren von Texten. Was bleibt, wenn wir uns nicht mehr erinnern? Nur im Augenblick sein und auf den nächsten Moment warten? Heißt leben: sich erinnern? Was sieht jemand von der Welt, der nur auf dem Rücken liegt?

Uraufführung im Oktober 2011 im I-Camp, München
Gastspiel im Februar 2012 in der Villa Elisabeth, Berlin

Mit: Ruth Geiersberger, Judith Hummel, Egmond Körner, Martin Pfisterer (Performance), Klaus Janek und Wolfi Schlick (Musik), Manuel Heyer (Video/Licht/Fotos)

Sitzen nun alle da und warten. Männer und Frauen, und alles vergessen, auch der eigene Beruf, das eigene Gesicht. Sitzen da und warten. Warten immerzu. Aufs Dessert. Aufs nächste Spiel. – Urs Faes

Wir bringen keinen Krankheitsbericht auf die Bühne, sondern widmen uns individuell, behutsam und neugierig den beobachteten Phänomenen, und geben dem Erfahrenen Ausdruck. Verschiedene Sieleinheiten wechseln sich ab – vom An- und Ausziehritual über den Wutausbruch bis hin zur schlechten Unterhaltungsmusik ist einiges geboten. Auf einer Textwand im Hintergrund wird den permanent sich verschiebenden Blickwinkeln und Realitätswahrnehmungen in Gedankenspuren Rechnung getragen. Die Zuschauer bewegen sich innerhalb der Anordnung und sind Teil des Ganzen. Denn sind nicht die Beobachtenden auch Wartende? Und wenn ja – worauf warten sie? – Ruth Geiersberger (aus: Programmheft zum Stück, 2011)

Es war die nackte ungeheuerliche Wahrheit, dass während seiner ganzen Wartezeit das Warten sein Schicksal gewesen war. – Eintrag in Becketts Tagebuch; früher Entwurf zu „Das letzte Band“

Und Jetzt, 2011

Das Projekt UND JETZT nähert sich einem Thema, das jeden von uns angeht. Die Lebenserwartung steigt und steigt – parallel dazu ist in Deutschalnd bis zum Jahr 2020 voraussichtlich mit über 1,4 Millionen und bis zum Jahre 2050 mit nahezu 2,3 Millionen Demenzkranken zu rechnen. Oft macht es von außen den Eindruck, als würden sie auf etwas warten – auf die Rückkehr eines Gefühls, eines Gedankens, einer Erinnerung, auf den Tod.
Bei den Recherchen zu UND JETZT beobachtete Ruth Geiersberger im November 2010, wie Menschen warten, im Bus-Wartehäuschen, im Wartezimmer einer Arztpraxis, im Wartebereich eines Amtes und an vielen anderen spezifischen Warte-Orten. Wie sieht Warten aus? Wie klingt das Warten? (…)
Der Verlauf des Abends ist nicht festgelegt. Es sind verschiedene Spielmodule, die aufeinanderprallen. So wird es zwar ähnliche Konstellationen, Wiedererkennbares geben – die Videospur bleibt gleich – aber dem zufälligen Geschehen wird viel Raum gelassen. Neue Verbindungen und Situationen können entstehen, die Performer sind zur äußersten Wachheit aufgerufen, sie warten auf den nächsten Impuls… So wird jeder Abend anders ablaufen. Und von jedem Platz aus hat man eine andere Wahrnehmung des Geschehens. Ein guter Grund, nicht nur einmal zu kommen. (aus: Programmheft zum Stück, 2011)